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Interview mit Ahmed El Fakharany

تاريخ التحديث: ٢٥ ديسمبر ٢٠٢١

@ Fann Magazin translater: Ibrahim Mahfouz „Am Anfang war alles so schnell wie ein Geist, so schwer und dringlich wie ein Albtraum. Ich befreite mich von der Langsamkeit der Zeit, um mit einer Botschaft in der Hand zu laufen: Finde Karl Marx! Ich hatte einen Auftrag im Herzen: Töte ihn!“ So beginnt Ahmed El Fakharanys neuester Roman Die Familie von Gado, in dem sich Realität mit Fantasie, Geschichte mit Gegenwart mischt. Nach der zweiten Lektüre habe ich selbst einen Text mit dem Titel Vielleicht ist das nicht die Tiefe der Hölle geschrieben, hatte dabei aber das Gefühl, El Fakharanys Fantasie zu stehlen: Ich hatte einen Text geschrieben, der eigentlich seiner war. Deshalb habe ich mich entschieden, El Fakharany zu interviewen, um seine Vorstellungskraft und seinen Intellekt besser zu verstehen.


Dellair: In Die Familie von Gado verwischen Sie die Grenze zwischen Realität und Fiktion. Welchen Unterschied macht es für Sie, ob Sie über etwas Reales oder Fiktives schreiben?


Ahmed El Fakharany: Jeden Tag erleben wir durch neue Technologien und soziale Medien verschiedene virtuelle Welten, in denen sich Bilder sehr schnell ändern. Für die anderen sind wir nur digitale Vorstellungen: Wir sehen uns gegenseitig durch unsere Handys. Sogar das Lesen von Texten funktioniert über Bilder, die digital überflogen werden. In meinen drei Romanen habe ich versucht, diese Welt künstlerisch abzubilden. Dazu habe ich die Techniken der Vorstellung, des Traums und der bizarren Nacherzählung eingesetzt. Für mich gibt es keine Grenze zwischen Fantasie und Realität. Ich schreibe nicht über die Fantasie, sondern verwende sie, um die Realität zu lesen – nicht weil das die beste Strategie ist, sondern weil ich sie gut kenne und mich durch sie ausdrücken kann. Schon als Kind habe ich die Welt auf diese Weise betrachtet: als Mischung aus dem, was ich mir vorstelle, was wirklich passiert, was ich mir wünsche und was ich mir nicht erklären kann. Dellair: Sie nannten auch die Technik des Traums. Wie hängt sie mit der Fantasie zusammen?


Ahmed El Fakharany: Meine eigenen Träume haben eine positive Wirkung auf mein Schreiben. Manche habe ich genauso aufgeschrieben, wie ich sie erlebt habe. Andere waren Auslöser für neue Ideen. Nehmen Sie zum Beispiel meine Kurzgeschichte Woody Allens Brille: Geschichte, Szenerie und Handlung habe ich im Traum gesehen. Oder die Beerdigungsszene in Die Familie von Gado: Sie ist eine Mischung aus einer realen Beerdigung, auf der ich war, und verschiedenen Tagträumen.


Dellair: Wie beeinflusst Ihr Wohnort Kairo Ihre Vorstellungskraft?


Ahmed El Fakharany: Er beeinflusst sie total! Meine Geschichten sind von der Realität dieser Stadt und von ihren besiegten, gebrochenen und deprimierten Einwohnern inspiriert. Die Mehrheit meiner Romanfiguren habe ich in der Stadt getroffen und dann in meiner Vorstellung rekonstruiert. Kairo ist eine inspirierende Stadt, auch wenn sie langsam untergeht. Vielleicht ist sie in meinen Büchern präsenter als meine Heimatstadt Alexandria, eben weil sie untergeht. Oder weil ich in ihren Gesichtern so viel verborgene Wut gesehen habe, als sie rebelliert und verloren hat. Ich habe Glück, dass ich als Schriftsteller in Kairo lebe.


Dellair: Ist es für Sie als Schriftsteller vertretbar, über einen Schmetterling zu schreiben, wenn das wahre Leben voller Tod, Zerstörung und Diktatoren ist?


Ahmed El Fakharany: Es ist ein Unterschied, ob man die Fantasie verwendet, um der Realität zu entfliehen oder um sie zu erklären. Das zeigt sich zum Beispiel im Vergleich von Ein Reich aus Apfelsaft, Mandorla und meinen späteren Büchern. In dem Kurzgeschichtenband Ein Reich aus Apfelsaft habe ich über einen Schmetterling geschrieben, als wäre das ein imaginärer Sieg über alles Übel. Das war eine Art Selbsthilfe. In meinen Romanen ist das Übel Teil eines Lebens, in dem Tod und Diktatur Inspirationsquellen sind. Literatur ist komplexer als nur über den Moment zu schreiben. Die Kunst zielt auf Unsterblichkeit, auch wenn der Moment des Schreibens vorbei ist. Sie versucht, das Wesentliche im Vergänglichen zu finden. Nicht Schmetterlinge flattern um meinen Kopf herum, sondern Wächter der Verwesung und Könige der Asche.


Dellair: Welche Bedeutung hat das Schreiben für Sie persönlich?


Ahmed El Fakharany: Wenn ich darüber nachdenke, komme ich zu dem Schluss, dass ich schreibe, um mich von Schuld zu befreien. Als Ägypter leben wir mit einer furchtbaren Hässlichkeit, die Schuld heißt. Sie ist der Ausgangspunkt jeder Autorität und Institution. Auch der Roman gilt heute als eine Institution, die über Priester und Meister mit Stockschlägen verfügt… Das Schreiben selbst ähnelt einem Kirchenfest, bei dem alle Anwesenden ihre Texte mit denen der anderen mischen wollen, um einen einzigen heiligen Text zu schaffen. So wollen sie verhindern, dass ein anderer Autor sie überflügelt oder unverdient unsterblich wird. Dellair: Haben Sie manchmal das Gefühl, dass Sie einen Ihrer Texte nochmal schreiben sollten?


Ahmed El Fakharany: Ich habe dieses Gefühl bei allem, was ich geschrieben habe – außer vielleicht bei meinem jeweils letzten Buch. Aber auch dieses Gefühl der Befriedigung verliert sich langsam, wenn ich einen neuen Text anfange. Seit Die Familie von Gado erschienen ist, achte ich viel mehr auf den Veröffentlichungsprozess. Ich glaube, in Ägypten fehlt es nicht an Talent, sondern an Handwerkskunst. Meinen ersten Roman würde ich wirklich gern nochmal schreiben. Das Lektorat hätte viel mehr Arbeit gebraucht, aber diese Fähigkeit hatte ich damals noch nicht.


Dellair: Wie beeinflussen die Bücher, die Sie lesen, Ihr eigenes Schreiben?


Ahmed El Fakharany: Der Akt des Schreibens ist eine komplexe Interaktion zwischen dem, was man liest, was man schafft, was man sieht, was man träumt und was man im Alltag tut. Ich glaube, dass ich mit meinen Büchern etwas Neues schaffe, auch wenn dabei verschiedene Einflüsse eine Rolle spielen. Kein Schriftsteller kann einen Text aus dem Nichts schaffen. Auf der anderen Seite glaube ich, dass die exakte Nacherzählung eines existierenden Textes keine kreative Literatur ist.


Dellair: Erzählen Sie mir vom Lesen und seinen Ritualen: Was steht in Ihrem Bücherregal?


Ahmed El Fakharany: Ich lese momentan sehr viel, um die Jahre auszugleichen, in denen ich als Journalist gearbeitet habe und nicht so viel lesen konnte. Ich lese Romane, Philosophie, Lyrik, viel von Ibn Arabi… allgemein zu vielen verschiedenen Themen. Zurzeit lese ich Deebs Haus von Ezzat El Kamhawi, ausgewählte Werke von Ezra Pound, Leaves of Grass von Walt Whitman und Der neue Marxismus von Salama Kila. Was wünsche ich mir vom Lesen? Dass ich meinen literarischen Horizont erweitere. Ich habe zwei verschiedene Bücherregale: Eins für die Bücher, die ich schon gelesen habe, und eins für die, die ich noch nicht gelesen habe. Alles, was übrigbleibt, wandert in Kisten, die ich manchmal verschenke. Ich habe auch eine digitale Bibliothek und versuche, abwechselnd ein eBook und ein gedrucktes Buch zu lesen, damit sowohl die Verlage als auch meine Frau zufrieden sind.

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